Warum Haiku?
- Maria Schuppler
- 30. Nov. 2024
- 3 Min. Lesezeit
Haiku entstehen in der Mitte des Augenblicks, so meinte ich im letzten Beitrag. Was genau heißt das? Und warum ist die Form eines Haiku so sehr dafür geeignet?
Haiku ist eine japanische Gedichtform, die im Mittelalter in Japan entstanden ist aus Kettengedichten, die damals ein kurzweiliges gesellschaftliches Spiel waren.
Ich möchte hier nur kurz darauf eingehen, welche Merkmale für Haikus wichtig sind und die bekanntesten Dichter aus der Zeit vor 1900 vorstellen.
Haikus sind also Kurzgedichte, im japanischen mit ca. 17 Silben, wobei die Silben im Japanischen unseren Silben nicht gleichgestellt werden können. In den Übersetzungen ins Deutsche allerdings wurde das Haiku als Dreizeiler mit dem Silbenmaß 5 -7- 5 zum Standard erhoben. Auch Rainer Maria Rilke z.B. nutzte die Form des Haiku, allerdings ohne strenges Silbenmaß. Es wurde für ihn ein "neuer und wertvoller Bewußtseinsinhalt" (Brief an Gudi Nölke. zitiert aus: Hallo Haiku, in einem Text von Sabine Sommerkamp über deutschsprachige Haikudichtung. Von den Anfängen bis zur Gegenwart).
Haiku ist
Leben in Silben gepackt in radikaler Reduktion, wie die Pinselstriche einer Tuschzeichnung,
Leben, das der Dichter gerade er-lebt, beobachtet, Szenen, Situationen, Naturereignisse.
Oder auch innere Weiterentwicklung, Gefühle, die kommen und gehen und in neue Zusammenhänge gesetzt werden.
Dazu kommt zur Einordnung meist ein Jahreszeitenwort, auch, um ein bestimmtes Gefühl beim Leser hervorzurufen, oder ein Ausdruck, der die Tageszeit symbolisiert, sowie ein persönlicher Bezug zum Geistig-Seelischen in der Natur (See, Mond, Fuji etc).
Jedes Haiku hat einen direkten Ausgangspunkt in einem Erlebnis, das - in Sprache gekleidet - möglichst prägnant, teilweise auch mit Ironie und oft überraschend, den Kern, die Essenz des Geschehens und eine Erkenntnis, im besten Fall ein erstaunendes Erkennen von Leben an sich, bewirkt.
In der japanischen Tradition gibt es einige Haiku-Dichter, die von ganz außerordentlicher Bedeutung sind, wie Matsuo Basho (1644 - 1694), Kobayashi Issa (1763 - 1828), Masuoka Shiki (1867 - 1902), um nur einige zu nennen. Ganz oft ist diese Tradition geprägt durch Erlebnisse auf Reisen, wie bei Basho und Issa, wie auch sehr stark beeinflußt durch den Zen-Buddhismus..
Nun zur Frage: Warum Haiku?
Im Haiku wird vieles vereint, das auf Menschen einen ganz besonderen Zauber ausübt:
Der Augenblick, der Moment intensiven Erlebens, das Zusammenspiel von Mensch und Natur, die kürzest mögliche, einfachste Beschreibung eines Vorgangs, von etwas Beobachteten, Kleinem, Unbedeutenden, das den Weg frei macht für das eigene Erleben darin und das von innen berührt.
Haikus sind so vielfältig wie die Menschen, die es als Ausdruck ihres inneren und äußeren Erlebens nutzen, und vielfältig wie die Jahreszeiten, wie jede Sekunde eines Augenblicks....
Haiku lesen, Haiku schreiben bedeutet also, sich auf einen Weg machen, eine Reise beginnen, mit offenem Ausgang, jedoch immer beglückend und berührend, Entwicklungen initiierend, Zufriedenheit und Verstehen fördernd.
Wer möchte, kann mir in den nächsten Beiträgen folgen auf der Reise in eine Welt des konzentrierten Minimalismus, vordringen in kaum wahrnehmbare Schwingungen von Tiefe und eigenem Sein, über Dichter der Vergangenheit in Japan, hin zu Dichtern der neueren Zeit im deutschsprachigen Raum.
Im nächsten Beitrag werde ich Matsuo Basho vorstellen, sein Leben und sein Werk näher beleuchten.
gleich - der tropfen fällt
das blatt wieder unberührt
nichts besonderes

Was denkt ihr?
Könnt ihr das nachvollziehen oder seht ihr das Thema aus einer ganz anderen Warte?
Lasst es mich wissen, schreibt es. Oder schreibt, welche Themen für euch wesentlich interessanter sind!
Viel Freude auf der Reise!
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